Empfang im Rathaus für die Nachfahren der Familie Insel und feierliche Einweihung der Erinnerungszeichen
Am 24. September 2024 fand im Rathaus ein besonderer Empfang für die Nachfahren der Familie Insel statt, die eigens aus Israel und den USA angereist waren. Anlass war die feierliche Einweihung der Erinnerungszeichen für Siegfried, Henny, Grete und Hermann Insel vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Roggemannstraße 25. Die Erinnerungszeichen am Haus sollen künftig an das Leben und das Schicksal der Familie Insel erinnern, die in Oldenburg einst fest verwurzelt war und deren Geschichte durch die nationalsozialistische Verfolgung tragisch endete. In einer feierlichen Zeremonie übergab die Stadt zudem Objekte aus dem ehemaligen Besitz der Familie Insel an ihre Nachfahren. Hierzu finden Sie weitere Informationen unter https://www.stadtmuseum-oldenburg.de/museum/sammlung-forschung/provenienzforschung/familie-insel.
Unser Vorstandsvorsitzender würdigte in seiner Rede die Bedeutung der Erinnerungszeichen und hob hervor, wie wichtig es ist, das Gedenken an die Familie Insel und ihre Geschichte auch für zukünftige Generationen lebendig zu halten.
Speech from Dietmar Schütz click here
Rede von Dietmar Schütz:
„Die Oldenburger Bürgerstiftung wird in diesem Jahr mit ihrer 4. Tranche an 37 Orten 90 Erinnerungszeichen errichtet haben. Wir weichen mit unserer Erinnerung an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger durch Stelen und Tafeln von der vieler Städte ab. Die meisten Städte in Deutschland und immer mehr auch in ganz Europa folgen dem Projekt von Gunter Demnig, der etwa seit 1992 mit sog. Stolpersteinen auf dem Boden vor den Wohnungen der ermordeten und vertriebenen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger an diese erinnern wollte.
Viele von Ihnen hier im Saale wissen, dass die jüdische Gemeinde unter dem damaligen Vorsitz von Sarah Ruth Schumann genauso wie die jüdische Gemeinde in München mit Charlotte Knobloch im Vorsitz diese Art Erinnerung ablehnten. Sie wollten die Namen der Opfer nicht den Tritten und den Verunreinigungen der Straße aussetzen. Man mag diese Auffassung teilen oder nicht teilen – ich selbst halte die Aktion von Demnig mit ihren europaweiten Erfolgen der Etablierung einer individualisierten Erinnerungskultur durchaus für gelungen. Gleichwohl haben wir die Bedenken der jüdischen Gemeinde in Oldenburg und München ernst zu nehmen. Wir haben deshalb als Bürgerstiftung in Absprache mit der Stadt Oldenburg „auf Augenhöhe“ unsere Erinnerungszeichen angebracht, um auch so in Oldenburg eine individualisierte Erinnerung an alle ermordeten Jüdinnen und Juden zu etablieren. Die begrüßenswerte Errichtung einer Tafel an der Peterstraße mit den Namen aller ermordeten und vertriebenen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erfüllte allerdings nicht den Zweck eines individualisierten Gedenkens am Ort ihres Lebens hier in Oldenburg, zumal auch einige Adressen nicht die Wohnungs- sondern die Deportationsadressen sind. Von dort begann meistens ihr Weg in die Vernichtungslager.
Deshalb errichten wir jetzt individuell vor den Wohnhäusern mit der längeren Geschichte der „unter uns Lebenden“ die Erinnerungszeichen auf Augenhöhe. Wir tun dies als Bürgerstiftung mit der finanziellen Unterstützung vieler Bürgerinnen und Bürger und nicht aus den Haushaltsmitteln der Stadt – um so jedes Mal die besondere Wahrnehmung und Erinnerung unserer Bürgerinnen und Bürger an ihre jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger wach zu halten. Vor allem tun wir dies aber in Oldenburg, weil wir die besondere Verantwortung aus unserer Geschichte des Landes Oldenburg wahrnehmen, in dem als erstes Reichsland des Deutschen Reiches schon 1932 eine absolute Mehrheit an Sitzen im Landtag der NSDAP, also den Nazis, durchgesetzt wurde.
Meine Damen und Herren,
heute sind wir hier versammelt, um den Nachkommen der Familie Insel aus der Roggemannstraße 25 Erinnerungsgegenstände ihrer Familie zurückzugeben – dazu wird Frau Stührholdt gleich das Wort ergreifen – und um nachher Erinnerungszeichen am Haus der ehemaligen Wohnung der Familie Insel anzubringen.
Ich möchte Ihnen die Familie Insel aus der Roggemann Straße 25 und deren Schicksal kurz vorstellen.
Siegfried und Henny Insel wohnten von April 1911 bis zum August 1936 – also 25 Jahre in der Roggemannstraße 25. Dies war also der Lebensmittelpunkt mit ihrer längsten Verweildauer unter den Bürgern der Stadt Oldenburg. – Sie wissen, was dies bedeutet! Sie haben Kontakt mit ihren Nachbarn, eingebettet in die sehr schöne Umgebung des Cäcilienplatzes, des Schlossgartens und des Eversten Holzes. Sie kennen die Kaufleute, bei denen sie einkaufen. Ihre Kinder gehen hier zur Schule.
Siegfried Insel wurde am 29. März 1859 in Berne, in der Wesermarsch, geboren. Er machte eine Ausbildung als Kaufmann und zog erst am 19.6.1903 von Berne nach Oldenburg. Zu dieser Zeit war er schon mit Henny verheiratet (geb. Rosenberg 1873 in Hameln). Ihre Tochter Grete war noch am 19. Januar 1903 in Berne geboren. Sie kam dann im Juni 1903 als Baby mit nach Oldenburg. Ihre erste Wohnung bezogen die Insels in der Langen Straße 57. (Heute das Geschäft der Buchhandlung Bültmann & Gerriets oder Wenner). Dort wurde auch Hermann Insel am 24.6.1910 geboren. In diesem Haus gründete Siegfried Insel ein Geschäft für Herren- und Damenbekleidung. 1911 zogen die Insels dann in die Roggemannstraße 25 um, wo sie dann eben über 25 Jahre wohnten. Das Bekleidungsgeschäft in der Langen Straße gab Siegfried Insel 1914 – im Jahr des Beginns des 1.Weltkriegs – auf und wechselte in die Versicherungsbranche. Er baute eine eigene Agentur auf und vertrat von 1924 bis 1933 die Rhein-Mosel-Versicherung als Hauptagent in Oldenburg. 1934 verlor er diese Vertretung, war aber noch bis 1935 im Handelsregister als Kaufmann eingetragen.
Die zunehmende Diskriminierung und die damit einhergehende wirtschaftliche Not veranlasste die Familie am 1.9.1936 eine kleine Wohnung in der hannoverschen Hertzstraße 5 zu nehmen. Die beiden Kinder, Grete und Hermann, waren schon früher ausgezogen. Hermann wechselte 1929 nach Hamburg und emigrierte schon im September 1933 nach Amsterdam. Grete, die den Beruf der Stenotypistin erlernt hatte, zog 1934 nach Lüneburg. Dann aber war sie wieder 1936 mit den Eltern vereint in der Holzstraße 5 in Hannover.
Anfang 1939 – noch vor Kriegsbeginn – emigrierte die übrige Familie – Hermann war ja schon seit 1933 in Amsterdam – nach Holland. Zuletzt waren alle in Amsterdam. Die Eltern wohnten in der Marnixstraat 74 in Amsterdam.
Mit dem Überfall der Niederlande am 10.5.1940 durch die deutschen Truppen wurde das Leben auch in Holland prekär und gefährlich. Die beiden Kinder wurden im Juli 1942 verhaftet und vom Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert. Grete war schon im ersten Transport am 15.7.1942 von Westerbork nach Auschwitz dabei und wurde dort am 18.8.1942 ermordet. Hermann war im zweiten Transport und kam am 17.7.1942 in Ausschwitz an. Er wurde am 21.8.1942 ermordet. Die Eltern, Siegfried und Henny, wurden ein Jahr später auch über das Lager Westerbork am 25.5.1943 deportiert – dieses Mal aber nach Sobibor. Beide wurden dort am 28.5.1943 ermordet.
Es fällt mir schwer, diese nackten und erschütternden Daten vorzutragen. Sie offenbaren einen unbedingten und brutalen Vernichtungswillen der deutschen Nazischergen.
Viele Oldenburger Juden hatten ein ähnliches Schicksal! Die zuerst gelungene Flucht in das Nachbarland wurde nach der Besetzung der Niederlande mit Inhaftierung in das Lager Westerbork beendet und mündete in den osteuropäischen Vernichtungslagern Auschwitz-Birkenau oder Sobibor. Das Durchgangslager Westerbork war das alle verbindende traurige Band der in die Niederlande geflüchteten Oldenburger Juden. Die damalige niederländische Regierung hatte vor dem Krieg – vorgeblich um die Freundschaft zu Deutschland zu bewahren und zu beweisen – am 15. Dezember 1938 für Flüchtlinge die Grenzen geschlossen und stempelte sie zu unerwünschten Ausländer, die in Zentrallagern wie Westerbork aufgefangen wurden. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht wurde aus dem Internierungslager das in die KZs führende „Polizeiliche Judendurchgangslager Kamp Westerbork“ unter direkter deutscher Verwaltung. Von hier gab es ein Anschlussgleis an die Bahnstrecke Meppel-Groningen. Jeden Dienstag fuhr ein Zug aus Westerbork mit einer großen Anzahl Häftlingen über Assen, Groningen und den Grenzbahnhof Nieuweschans – in unserer weiteren Nachbarschaft – „nach Osten“ in die erwähnten KZs. Die von der Deutschen Reichsbahn organisierte Fahrt dauerte ungefähr drei Tage.
Insgesamt wurden von 1942-1944 mehr als 107.000 Juden aus Westerbork per Zug deportiert, darunter auch Anne Frank. Nur 5000 von Ihnen überlebten und konnten zurückkehren. Die vier Mitglieder der Familie Insel waren nicht dabei.“