Weshalb die Mutzenbecherstraße so heißt

von Heinfried König

„Bildung im Vorübergehen“ nennen wir unsere Aktion, Straßennamen mit Erklärungen zur Person zu ergänzen. Am 26. September 2020 kam eine weitere Straße dazu: Die (Esdras Heinrich) Mutzenbecherstraße, eine Seitenstraße von der Hauptstraße in Eversten.

Der Namensgeber dieser Straße führt uns in die Mitte des 18. Jahrhundert. Zu der Zeit jedenfalls, 1744, wurde Esdras Heinrich Mutzenbecher, der spätere Generalsuperintendent von Oldenburg, in Hamburg geboren. Nahezu am Ende des Jahrhunderts,1789, kam Esdras Heinrich Mutzenbecher nach Oldenburg. Herzog Peter I. hat ihn als Generalsuperintendent und Konsistorialrat, heute würden wir ihn „Bischof“ nennen, in die Oldenburger Kirche berufen. Esdras Heinrich Mutzenbecher ist 45 Jahre und hat einen abwechslungsreichen Lebenslauf hinter sich. Geboren am 23. März 1744 in Hamburg, war er Zeitgenosse von Goethe und Schiller. Sein Vater Johann Heinrich Mutzenbecher, war Kaufmann; seine Mutter, Angelica Edzardus, kam aus einer Theologenfamilie.

Er besucht die Gelehrtenschule des Johanneums und macht schon in jungen Jahren durch eine Wochenzeitung, „Der Primaner“, auf sich aufmerksam. Ab Ostern 1762 besucht er das Hamburger Akademische Gymnasium und gehört bereits als 18jähriger zu den Mitbegründern einer literarischen Gesellschaft, die er 1765 mit auf die Universität in Göttingen nahm. Aus dieser literarischen Gesellschaft entwuchsen die „Hamburgischen Unterhaltungen“, eine Monatszeitschrift, die von 1766-1770 erschien und über Musik, Literatur und Kunst berichtete.

Mit 24 Jahren, 1768, beendet er sein Studium und übernimmt für zwei Jahre die Stelle eines Hofmeisters, eines Hauslehrers und Sekretärs, bei einem jungen Herrn von Steinberg, mit dem er sich zunächst in Celle dann von 1770-1772 an der Ritterakademie in Braunschweig und seit September 1772 wieder in Göttingen aufhielt.

Von Braunschweig aus machte er das theologische Examen vor dem Consistorium zu Hannover und erlangte die Aufnahme unter die hannoverschen Candidaten.

1773 wird er zum zweiten Universitätsprediger in Göttingen ernannt. Er hat das Recht auch als Privatdozent tätig zu sein. Sein Ziel war eine akademische Laufbahn. 1774 legt er das Examen vor der Theologischen Fakultät in Göttingen ab und beginnt mit einer Dissertation.

Ein Jahr später, 1775, wird er zum Prediger an der deutschen lutherischen Kirche in Den Haag berufen.

Hier heiratet er,1777, die 14 Jahre jüngere Tochter eines Den Haager Bankiers. Zwei Kinder werden in Den Haag geboren. Eines stirbt sehr früh. Mutzenbecher bleibt 5 Jahre und wechselt 1780 zur deutschen lutherischen Gemeinde in Amsterdam. Er fühlt sich hier sehr wohl und lehnt mehrere Berufungen zu höheren Ämtern in deutschen Gemeinden ab. Ein guter Kontakt zu deutschen und holländischen Theologen bestärkt dieses Gefühl. In Amsterdam werden drei weitere Kinder geboren.

Die theologische Situation veränderte sich in den Jahren. Die liberale Theologie, der Mutzenbecher sich zugehörig fühlte kam mit der orthodoxen Theologie in einen heftigen Richtungsstreit. Diese Entwicklung war ausschlaggebend, den Ruf als Generalsuperintendent und Konsistorialrat in Oldenburg anzunehmen. Am 3. August 1789 kommt er nach Oldenburg.
Hier findet er für sein Verständnis ein günstigeres Umfeld. Herzog Peter der I. strebt ein aufklärerisches Staatsideal an und stattet Mutzenbecher mit umfassenden Kompetenzen aus.

Als wichtige Kennzeichen der Aufklärung gelten die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, mit der man sich von althergebrachten, starren und überholten Vorstellungen und Ideologien gegen den Widerstand von Tradition und Gewohnheitsrecht befreien will. Dazu gehörte im Zeitalter der Aufklärung der Kampf gegen Vorurteile und die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, das Plädoyer für religiöse Toleranz und die Orientierung am Naturrecht.

Es beginnen für ihn 12 intensive Jahre, in denen er dem Rationalismus und der Aufklärungstheologie verpflichtet, in Oldenburg wirkt: Er gibt ein neues Gesangbuch heraus. Entwickelt Material für den kirchlichen Unterricht und stellt Gebete und Formulare für gottesdienstliche Handlungen zusammen.

Ebenso ist er auf dem Gebiet des Schulwesens engagiert: Gründet 1790 eine Armenschule, wandelt die Oldenburger Lateinschule in ein Gymnasium um, und gründet 1793 das Evangelische Lehrerseminar in Oldenburg.

In seine Amtszeit fällt auch der radikale Umbau der Lambertikirche. Am 3. Mai 1795 wird sie wieder eingeweiht und Mutzenbecher hält die Festpredigt.

Mutzenbecher war in Oldenburg Mitglied der Literarischen Gesellschaft, in der er sich ebenfalls aufklärerischen Positionen anschloss. Seine Reformen sind dementsprechend geprägt von einer stark neologischen Position, die aus seiner Theologie und aus seiner aufgeklärten philosophisch-sozialpolitischen Weltsicht resultierte und vernunftgeleitetes, selbständiges Denken und Handeln innerhalb einer Individual- und Sozialethik zum Ziel hatte.

Seinem Wirken wird im Dezember 1801 ein plötzliches Ende gemacht. Am 21. Dezember 1801 stirbt er nach kurzer Krankheit.

Seine Witwe überlebte ihn 29 Jahre und starb am 9. April 1830. Von seinen Kindern überlebten ihn seine Tochter Henriette und seine Söhne Ludwig und Fritz, der spätere Regierungspräsident von Oldenburg.

 

Enthüllung (von links): Dietmar Schütz (Vorsitzender der Bürgerstiftung) mit Folkert Heinrich Lorenz Mutzenbecher, Christiane Barth (geb. Mutzenbecher) und Ehemann Reinhold Barth