Erinnerungszeichen für die Familie Gerson in der Bremer Straße 32

Sie waren fünf Oldenburger: Lilli und Georg Gerson, ihr Sohn Paul Geson und Lilli Gersons Eltern Klara und Philipp Cohen – alle sind umgekommen in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten. Seit diesem Mittwoch erinnert eine Wandtafel an der Fassade des Hauses an der Bremer Straße 32 an die fünf Osternburger. Denn genau hier hatte die jüdische Familie bis 1935 gewohnt. Nur der zweite Sohn, Peter Gerson, der 1925 geboren wurde, überlebte – er starb vor acht Jahren in Israel.

Seine Söhne Gideon und Jonathan Gerzon sind mit ihren Familien nach Oldenburg zum Festakt im Rathaus und zur Einweihung des Erinnerungszeichens gereist. Alle werden an diesem Donnerstag auch am Erinnerungsgang teilnehmen.

„Auf Augenhöhe“

Das Schicksal der Familie Gerson, die ihren Namen in Israel in Gerzon änderte, stand am Mittwoch stellvertretend für weitere jüdische Opfer von NS-Verbrechen. An ihren einstigen Wohnorten wurden auf Initiative der Bürgerstiftung zehn Erinnerungszeichen installiert. Weitere folgen jetzt, insgesamt sollen es 32 werden.

Die Zeichen stehen gut sichtbar und enthalten Namen, Lebensdaten, Angaben zum Schicksal sowie Bilder der Opfer. Im Gegensatz zu den bekannten „Stolpersteinen“ sind sie bewusst auf Augenhöhe angebracht. „Sie zeigen, dass jede einzelne Geschichte zählt – und dass jede auf ihre Weise ein Dokument für die Unmenschlichkeit des NS-Staates ist“, sagte Oberbürgermeister Jürgen Krogmann. „Es ist wichtig, dass wir unser Wissen an die jüngere Generation weitergeben, damit sich Geschichte nicht wiederholt.“

Identität & Orientierung

In Oldenburg kümmern sich Stadt, Bürgerstiftung und Werkstattfilm um das Projekt. Die Bürgerstiftung finanziert die Anfertigung durch Spenden, bei den Gersons etwa durch die Freunde des Alten Gymnasiums. „Die Erinnerungszeichen bringen die Namen und Biografien der Frauen, Männer und Kinder, die in der NS-Zeit ums Leben gekommen sind und hier Freunde, Bekannte und Nachbarn gehabt haben, in das Gedächtnis der Stadt zurück. Ohne Gedächtnis und Erinnerung kann keine Gesellschaft funktionieren. Sie geben Identität und Orientierung“, sagte Schütz.

Der Oberbürgermeister a.D. hob das Engagement von Jörg Witte hervor. Der ehemalige Lehrer des Alten Gymnasiums habe „in besonderer Weise dazu beigetragen, das Schicksal der Familie Gerson zu recherchieren und die Erinnerung wach zu halten“.

Jörg Witte zeichnete das Schicksal der Familie nach und erinnerte auch an die Verdienste des ehemaligen Hindenburgschul-Lehrers Dr. Enno Meyer, der Anfang der 70er-Jahre seine Nachforschungen zum Verbleib Oldenburger Schüler während des Holocausts veröffentlicht hatte.

Das „Unsägliche“

Die 1938 in die Niederlande emigrierte Familie Gerson wurde von den Nazis in Vernichtungslager deportiert. Peter Gersons Bruder Paul und seine Mutter Lilli wurden in Auschwitz ermordet. Peter Gerson und sein Vater Georg wurden nach Kaufering, einem Außenlager des KZ Dachau, gebracht. Während Georg Gerson die Qualen der Zwangsarbeit nicht überlebte, glückte Peter im April 1945 die Flucht bei einem Zugtransport. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang ihm die Einreise nach Palästina. Er kämpfte im neugegründeten Staat Israel als Soldat an der syrischen und libanesischen Grenze und arbeitete später als Kraftwerksingenieur, er ließ sich mit seiner Familie in Ashdod nieder.

Gideon Gerzon erinnerte im Rathaus an die Schwierigkeit des Umgangs in den Familien mit dem Unsäglichen. Erst kurz vor seinem Tod habe sein Vater zum Schweigen über sein Leben zwischen 1933 und 1945 gesagt: „Ich wollte nicht darüber sprechen, damit ihr, meine Kinder, nicht diese schwere Last tragen müsst.“ Damit habe er es ihnen leichter gemacht, die Vorstellung darüber aber auch erschwert. Gerzon zeigte sich tief beeindruckt vom Engagement und dankte der Stadt und der Bürgerstiftung: „Dass unsere Familie auf diese Weise geehrt wird, hat eine sehr besondere Bedeutung für uns.“

 

Quelle: NWZ 10.11.2022